PETRA RENKEL - MÜNCHEN

 

„ich hoffe, es gibt fragen zu den titeln“
(Jan M. Petersen)

oder

selbst denken und kommando ungehorsam

 

denken zieht sich wie eine Verheißung durch das vielgestaltige, experimentierfreudige Werk des Künstlers Jan M. Petersen. Spätestens mit seiner jugendlichen Punkwerdung in den Achtzigerjahren im hessischen Bad Vilbel, dem alten Römer- und Quellenband, war klar, dass ihn die aufklärerische Quintessenz des Philosophen René Descartes „Ich denke, also bin ich“ nicht mehr loslassen würde. Es folgten Stationen in Nepal und Indien, ein Zwischenstopp der diplomierten Architektwerdung in Frankfurt am Main sowie umtriebige Berliner Zeiten in den frühen Zweitausendern: eine Ateliergalerie mit Freunden, Arbeiten im öffentlichen Raum, viele Auftragsarbeiten, aber auch jede Menge staatsanwaltlicher Ärger mit Wurst der Sorten Nazi-Schwein und Nazi-Rind.
EXIL und völlig neue Perspektiven taten sich für Petersen und sein „institut für bild- und materialforschung“ mit dem Umzug 2004 nach Pfaffendorf in Ost-Brandenburg auf. In der ehemaligen Gaststätte und Relaisstation zum Wechseln der Postkutschenpferde mit Fremdenzimmern, Ballsaal und Eiskeller unweit der Pfaffendorfer Kirche fand Petersen Platz zum Wohnen und Arbeiten. Mehrere große Nebengebäude wurden nach und nach zu Werkstatt und Atelier, das international beachtete Kunstkaufhaus-Ost wurde gegründet und Ausstellungshallen nahmen ab 2011 Gestalt an. In der Auseinandersetzung mit den historischen, stark renovierungsbedürftigen Gebäuden auf der einen und der unablässig entstehenden Kunst auf der anderen Seite erweiterte Petersen das Repertoire an Materialien und Techniken beständig. Der Künstler nahm und nimmt die „bild- und materialforschung“ beim Wort. „bildforschung“ betreibt er unter anderem auf kleinformatigen Holzblöcken, die provozierend mit Papier, Farbe, Acryl, Wachs und spitzzüngigen Titeln gesellschaftlichen Widersprüchen, persönlichen Querständen und menschlichen Unzulänglichkeiten auf die Spur kommen. „materialforschung“ betreibt der Künstler ab 2014 mit CORTEN®Stahl und weiteren Metallen wie Bronze, Aluminium und Gold. Mit seinen groß- und kleinformatigen Skulpturen trifft er wie mit seinen Bildern den (wunden) Punkt. Aha-Erlebnisse, im Hals stecken bleibendes Lachen, lang anhaltendes Grübeln und der Blick nach innen sind gewünschte Nebenwirkungen seiner künstlerischen hausapotheke.


Transgenerational und emotional verwoben mit der Geschichte des metallverarbeitenden Urgroßvaters und dem Ort seiner ehemaligen, inzwischen niedergerissenen Bauschlosserei in Hamburg-Hamm entstehen in der eigenen Atelierwerkstatt zunächst großformatige Cortenstahl-Skulpturen. Der Spezialstahl, den der Architekt kennt und nutzt, wird für den Künstler Ausgangsmaterial seiner Bildfiguren, bei denen häufig Titel und Werk zusammenfallen. Cortenstahl, durch Luft und Regenwasser im Laufe der Zeit mit der braun-roten, wie Samt anmutenden Patina überzogen, ist vielleicht in besonderer Weise geeignet, den Hintersinn, die Vieldeutigkeit eines Wortes zu visualisieren. Die Betrachter können zum Text, der ihnen in großen Lettern gegenübersteht, in Distanz, oder aber näher zu ihm treten. Wechselnder Lichteinfall, witterungsbedingte glänzend-feuchte oder trockene Oberfläche lassen die Skulpturen von Tag zu Tag, Monat zu Monat, Jahr zu Jahr verändert auftreten. Im fortwährenden Zwiegespräch mit den Betrachtenden fordern sie diese auf, denken, nichts, UNSINN, zweifel, SOUL, HOPE und Liebe zu be- und hinterfragen. Die Aneignung des Textes erfolgt über seine rein bildhafte Form. Die rostige Patina, die zugleich vor weiterem Verfall, der CORrosion schützt, wird zum integralen Bestandteil der Arbeit und eröffnet eine mitdenkende Imagination. Die bildgewordene Sprache lädt ein zum Dialog mit sich selbst, mit dem Umraum, aber auch mit weiteren Mitdenkenden, und so wundert es nicht, dass in Korrespondenz zu den Sprachgebilden weitere Arbeiten entstehen, die sich dem Thema Austausch und Kommunikation widmen. zuhörerin und zuhörer, braille für alle Blinden (wobei es auch sehende Blinde geben soll) in kleinem Format, der beichtstuhl to go (für den exilierten und andere Katholiken), oder aber riesige Hörrohre und eine Soundinstallation sowie ein großer Trichter, der wahlweise Schall wie in einer überdimensionierten Blüte sammelt oder als rettungskapsel fungiert, weisen einmal mehr auf den Künstler, der sich um Gattungsgrenzen wenig schert und Sprache, Klang, Bild und Form grenzüberschreitend beforscht.


Die rettungskapsel ist für alle Fälle mit Rädern versehen und am Boden der Kapsel mit einer konvexen Linse ausgestattet. Anstelle des erwarteten Durchblicks zeigt sich: die welt steht kopf – Standortwechsel, die Dinge wenden und erst danach betrachten, statt unsinniges Festhalten an Gewohntem deutet sich hier als Thema an. Und so wie der Künstler mit seinen Arbeiten die Betrachter immer wieder auffordert, den eigenen Standpunkt zu be-denken, verweist er mit seinen Haus-Skulpturen auf seine eigene, durchaus ambivalent erlebte Situation in einem Dorf im tiefsten Brandenburg. In der archetypisch reduzierten Form des einfachen Kubus mit spitzem Dach, mal mit, mal ohne Fenster, formieren sich ein braunes dorf oder Reihenhäuschen zum bürgerlichen REIHENHAUSTERROR. Wohl wissend, dass das über Jahre geschaffene Refugium Wohn- und Atelierhaus Pfaffendorf nicht so ohne Weiteres versetzt werden kann, gibt es das mobil home als skulpturales Fluchtvehikel auf Rädern: monument wider die unverrückbarkeit von immobilien. Die Urhütte fragt mit ihrem woher zugleich nach dem Wohin? Der Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit steht die Sorge vor deren Verlust entgegen. Zugleich eröffnet das Haus auf Rädern, das durchaus in der Flachdachvariante der Moderne daherkommen kann (oder ist es der Sarg, in welchem die Kunst abtransportiert wird?), die künstlerische Freiheit, das Einengende der Sesshaftigkeit jederzeit zu verlassen. Am liebsten mit einer großen Portion unsinn im Gepäck. Daneben und nicht ohne Ironie wird die quer gelegte Kirchturmspitze zum Rammbock. Pfaffen-Dorf hat eben doch einiges zu bieten. Kirche mit Rammbock wie auch die Häuser strahlen einerseits die Kraft und Energie aus, die es bei der metallverarbeitenden Herstellung des Biegens, Ziehens, Schweißens und Flexens braucht. Zugleich umgibt sie etwas ungemein Leichtes und Spielerisches. Aufgrund ihres kleinen Formats und den untergezogenen Rädern wirken die Häuser wie Kinderspielzeug, frei in der Zusammenstellung, offen für eine Reise wohin auch immer, vielleicht sogar bis zum ersatzplanet, plastic planet, bronzekugelplanet oder doch wenigstens bis zum moon.


Dort wartet bereits Frau luna, die mainzelmondin, und lädt zusammen mit dem MONDKALB superheroine und mausbär ein, auf der mondmatratze Platz zu nehmen. Auch diesen neueren Arbeiten, viele davon sind Wandobjekte und als Serie vorstellbar, strahlen einerseits vor skulpturaler Poesie und transportieren andererseits Erfahrungen, die autobiografischer, anthropologischer und philosophischer Art sein können. Immer zeigt sich bei genauer und wiederholter Betrachtung ein Zusammenhang mit den Herausforderungen unserer Gegenwart. Immer sind die Arbeiten Petersens geprägt von einer leichten und zugleich nachdenklichen poetischen Qualität. weitung und spur weisen einen möglichen Weg.


Formal greift der Künstler auf absolute Formen von Kugel, Kreis und Kubus zurück, die als verdichtete Kerngestalten für geistiges Zur-Ruhe-Kommen, für Ursprüngliches stehen. Die Kugel als Abbild für den Kosmos, für den vollkommen geometrischen Körper, bezeichnet der Künstler in seiner Herstellung als „Königsdisziplin“. Die Kraft, die für die Verformung des Materials mittels Feuer und den verschiedenen kräftezehrenden Arbeitsschritten verwendet wird, tritt in die Kugel ein und als Spannung für den Betrachter wieder aus – mit „Bilder hauen“ beschreibt Petersen diese expressive Bildwerdung, die nach alten, fast archaisch anmutenden handwerklichen Regeln im eigenen Atelier vollzogen wird. Ausgehend von der Einfachheit der Form und den Möglichkeiten des Materials nähert er sich in vielfachen Varianten und Versuchen in Motivserien den komplexen Themen des Daseins an. Fehlversuche und Neuanfang eingeschlossen. Neben dem sinnlich-ästhetischen Erleben der Rostpatina greift der Künstler bei seinen Metallarbeiten auf eine Kombination der Werkstoffe Stahl und Bronze mit der Oberflächenbearbeitung grünlich bis grauschwarzer Bronzepatinierung oder auf die Vergoldung zurück. Beides traditionelle Verfahren, um Edelmetalle noch wertiger zu gestalten. Ebenso integriert er Linsen und gelegentlich Fundstücke wie alte Fotografien. Das Aufpolieren der Bronze, das Vergolden und das Integrieren von Glas und Linsen erweitert das haptisch-materielle Erleben um den Aspekt des Optisch-Sinnlichen. Mit dem Hereinholen von Licht über spiegelndes Material wird das künstlerische Objekt zum Raum hin geöffnet. Der Raum, in dem der Betrachter sich befindet, wird reflektiert und optisch dynamisiert. Reflexion bedeutet Vervielfachung, allerdings häufig in verfremdenden Erscheinungen. Sei es wie bei den bereits erwähnten Arbeiten auf dem Kopf stehend oder als abstrakt ornamentale Phänomene auf der uneben gestalteten, spiegelnden Oberfläche wie bei like mich am arsch oder der sich zu eigen gemachten Dada-Aussage der kopf ist rund, damit das denken die richtung ändern kann von Francis Picabia. Derartig irritiert wandert der Blick vom Geschriebenen zum Gespiegelten zu sich selbst und wieder zurück, immer in dem Versuch, das Wahrgenommene in Abgleich zu bringen mit der umgebenden Wirklichkeit. Das viel zitierte erkenne dich selbst, das griechische gnothi seauton, ist hier als Aufforderung nicht mehr weit. Und wieder experimentiert und spielt der Künstler mit zahllosen Varianten und Ausformungen des Materials bis hin zur Einbeziehung von durch den Betrachter zu betätigenden Linsenverschlüssen. Auf, zu, mal schauen, was zu sehen sein wird. Und je länger ich hineinschaue, desto fremder schaut es zurück.


Löcher im Material bilden für Petersen eine zusätzliche Dimension der Oberflächenstruktur. Der Raum wir optisch nach hinten erweitert. Die Löcher locken zum Hineinschauen, ohne auch hier ihr Geheimnis preiszugeben. Vielmehr sind sie Ein- und Ausgänge für die Fantasie, bilden den Übergang von einer Gedankenwelt in eine nächste unbekannte Welt. Terra incognita, ein offenes Spiel mit unabsehbar vielen Richtungen. Die Vergoldung von Bronze verleiht den Arbeiten einen besonderen ästhetischen Reiz. Hat doch das warm schimmernde Gold schon immer die Menschen in seinen Bann gezogen, von der circa 4000 Jahre alten Himmelsscheibe von Nebra bis zum lonely planet. Das Auratische des Materials und die handwerklich perfekt gearbeiteten Stücke überschreiten dabei nie die Grenze zum Kunsthandwerklichen – mit leiser Ironie bis derben Verweisen verstärken sie die jeder Kunst inhärente Denkaufforderung und das Kommunikationspotenzial, fordern auf zu neuen Sichtweisen. Der Künstler scheut sich nicht, seine Edelmetalle mit Alltagsmaterialien zusammenprallen zu lassen: der letzte tropfen (Hoffnung, Wasser, Liebe?) kommt aus dem Plaste-Wasserhahn und das Plaste-und-Elaste- Autochen flitzt über kosmischen Grund.


Über allem steht als Ausgangspunkt die Reibung und Auseinandersetzung des Künstlers mit der Kunst, die wohl oder übel auch davon lebt (und mit ihm der Künstler), dass es einen umkämpften Kunstmarkt gibt mit dem einen oder anderen sammeldepp deluxe. Luxus und Reichtum in Gold gefasst und noch einmal gesteigert mit glitzernden Zirkonia-Kristallen versehen. Diesen Widerspruch müssen Künstler wie Sammler aushalten, der Empfänger von HartZ (IV) jedenfalls wird sich reich aber doof nicht leisten können. Konsumkritik, Gesellschaftskritik, Reibung mit der (rechten) Vergangenheit und Gegenwart äußern sicher immer wieder mit einem durchdringenden skulpturalen Aufschrei: EURE WELT IST MEINE KATASTROPHE und leider, ja, die welt ist eine scheisse.  Bei diesem Akt der Notwehr in Wahrung berechtigter Interessen hilft vielleicht die Warnung vor der banalität des bösen (Hannah Arendt). Und bevor wir alle untergehen, denn: das boot ist voll, steht am Ende als mögliches Gegenmittel:


in art we trust

 

 

Who the fuck is Jan M. Petersen ?

Bildhauer, Metallskulpteur, Erfinder... eine Eigensicht.

"Never change a running System" so heisst es ja, wenn etwas gut klappt und eigentlich alles in Ordnung ist. Jan M. Petersen hat es in die Köpfe vieler Sammler/ innen und Kunstinteressierter geschafft - mit seinen Kommentaren und Anmerkun- gen zur aktuellen gesellschaftlichen Situation. Oder einfach nur mit Dingen, die er wiedergefunden und nochmal anders ausgesprochen wissen wollte. Günstig, zum demokratischen Preis, für alle erreichbar und bezahlbar. Auch gut, um Schwellen- ängste von Besucher/innen vor Galerien überwinden zu helfen, liegt er doch meist an vorderster Front in den Schaufenstern mit seinen kleinformatigen Holzarbeiten. und das bundesweit, gut verteilt, konstant günstig und gut sammelbar. Seit Jahren, Jahrzehnten möchte man fast meinen. Alles gut, geschafft und sicher, alles bestens und prima, denn immerhin können nur wenige Künstler/innen von ihrem Schaffen leben, er kann es.

Doch Künstler wären keine Künstler, wenn sie nicht stets auch auf der Suche wären. Die Suche nach Wahrheit, nach Form und Farbkomposition oder einfach nur die suche nach Ästhetik und Schönheit. So wird aus "den guten schönen Waren" nun "dem guten schönen Wahren". Petersen hat das Metall für sich entdeckt. Zäh, hart, kalt und dauerhaft, aber auch schwieriger zu bearbeiten und zu formen. Das "neu anfangen müssen" und sich langsam bewegen im Schaffensprozess ge- fällt dem Künstler gut. Endlich wieder lernen, auch aus Fehlern. Sind nicht die "Unfälle" stets die schönere Kunst? Es entstehen erste Metallarbeiten mit geringen Mitteln in der eigenen, stetig anwachsenden Metallwerkstatt. Die Ausbildung vom Tischler zum Architekten und Modellbauer kommt langsam wieder zum tragen. Konstruktive Prinzipien ähneln sich, muss doch aus Stäben und Platten nun ein Körper werden. Es ist, wie eine neue Sprache zu lernen. Doch wie gross der Spielraum nun ist, erfährt Petersen erst im laufe der Jahre, denn Metallverarbeitung erfordert Erfahrung und gute Vorplanung - eine Aufgabe. Endlich!

"Kunst muss eine Aussage haben, wenn möglich, gesellschaftskritisch, ja politisch. und in seiner Zeit stehen."
mit diesem Anspruch muss sich das Werk nun beweisen, im ö
ffentlichen Raum und in den gärten der Sammlerschaft.